Als 1945 endlich die Waffen schwiegen, zog eine neue Zeit durchs Land: friedlich, ja – aber auch karg. Der Hunger war ständiger Begleiter, die Vorratskammern leer, und vieles, was wir heute für selbstverständlich halten, war purer Luxus.
Mut in schwierigen Zeiten:
In dieser schwierigen Phase wagte Bäckermeister Reiner Wolf in Elsdorf einen mutigen Schritt: Er übernahm eine Bäckerei. Klingt heute vielleicht unspektakulär, war damals aber ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang. Denn ohne Mehl kein Brot – und Mehl war Mangelware. Viele Mühlen waren im Krieg beschädigt, die wenigen funktionierenden arbeiteten auf Sparflamme. Dazu kamen strikte Rationierungen, die jedem Handwerker nur winzige Mengen zugestanden.
Langsam kehrte das Leben aufs Feld zurück:
Bauern bestellten ihre Äcker wieder, doch die Saatgutknappheit bremste den Aufschwung. Die Alliierten – USA, Großbritannien, Frankreich und Russland – sahen die Not und organisierten Hilfslieferungen über die UNRRA und andere Organisationen. In der Theorie ein Hoffnungsschimmer, in der Praxis oft ein Trauerspiel: Korruption und Missmanagement sorgten dafür, dass vieles nicht dort ankam, wo es am dringendsten gebraucht wurde.
Ein Wendepunkt kam 1948 mit der Währungsreform:
Die Reichsmark wurde von der Deutschen Mark abgelöst, und in der sogenannten Trizone (amerikanische, britische und französische Besatzungszone) liefen die Lieferungen von Lebensmitteln, Weizen und Mehl endlich zuverlässiger. In dieser Zeit flatterten auch Mehl-Säcke der 1881 gegründeten US-Firma Early & Daniel aus Fairmount, Ohio, nach Deutschland – und direkt in die Backstube von Reiner Wolf.
Generationswechsel:
In den 1970ern übernahm Sohn Norbert Wolf gemeinsam mit seiner Frau Luise das Ruder. Über Jahrzehnte duftete es in der Backstube nach frischem Brot und knusprigen Brötchen. Mit viel Herzblut führten die beiden das Familienhandwerk fort, modernisierten behutsam und hielten zugleich an den überlieferten Rezepturen fest. So blieb die Bäckerei nicht nur ein Arbeitsplatz, sondern ein Stück Heimat für viele Elsdorfer bis Norbert Wof in den Ruhestand ging.
Fundstück mit Geschichte:
Beim Aufräumen im Ruhestand tauchte zwischen Mehltüten und Backformen ein alter Mehlsack der Firma Early & Daniel auf – ein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit.
Norbert Wolf mit einem Mehlsack der Firma Early & Daniel.
Ein Ende in vier Jahrzehnten:
Die Firma meldete 1986 Insolvenz an. Die mächtigen Silotürme standen seit 1980 ungenutzt und wurden schließlich zum Ärgernis in ihrer Heimatstadt. Am 29. Juli 2023 krachte mit einer kontrollierten Sprengung auch optisch das Kapitel Early & Daniel in sich zusammen. Im Jahr 2017 schloss Norbert aus Altersgründen und mangels Nachfolger die Türen – damit war auch dieses Kapitel abgeschlossen.
Und so schließt sich der Kreis:
Was einst als mutiger Schritt in Zeiten des Mangels begann, mündete in jahrzehntelanger Backtradition – und endete mit dem Fund eines einfachen Mehlsacks, der mehr erzählt als viele Geschichtsbücher. Er ist ein Stück Familienchronik, ein Stück Stadtgeschichte und ein stiller Zeuge davon, wie aus Entbehrung etwas Gutes wachsen kann.