Kirdorf, ein Wallfahrtsort?



Manche wissen es, viele haben noch nie davon gehört.
Ja, Kirdorf ist ein Wallfahrtsort.


Alles begann mit einem angelsächsischen Missionar aus Northumbria (Kleinkönigreich in England/Schottland), dem späteren Heiligen Willibrord. Er soll das Wasser einer verschmutzten Quelle in Kirdorf wieder trinkbar gemacht haben.

Als Willibrord um 700 n. Chr. nach Kirdorf kam, fand er Heiden vor, die es zu missionieren galt. Eine erste kleine Kirche wurde errichtet, die um 1300 urkundlich erwähnt wird. Der Ortsname „Kirihdorp“ wird erstmals erwähnt, wahrscheinlich eine keltische Ableitung von Bach ‚kiri‘. Später wird der Ort Kirchdorf genannt, woraus Kirdorf wird. Ein Hinweis auf die Gründung der Willibrorduskirche.

Die heidnischen Bewohner unserer Region verehrten das Wasser, vor allem das Quellwasser. Mit ihrer Bekehrung gaben sie nicht alle ihre Sitten und Gebräuche auf. Quellen waren nach wie vor Heiligtümer, die es zu bewahren galt und seit Willibrords Zeiten auch bewahrt wurden. Statt der heidnischen Quell- und Brunnenfeste feierte man nun die kirchlichen Feste. Außerdem waren die Quellen natürlich wichtig für die Trinkwasserversorgung. Kirdorf hatte also eine strategisch gute Lage, Trinkwasser war vorhanden und außerdem gab es in der Nähe einen Bach, den Finkelbach, aus dem auch die Tiere trinken konnten.

Willibrord, Buchmalerei aus dem 10. Jahrhundert


Die genaue Lage der Quelle ist nicht bekannt. Dort, wo Kirdorf nach Süden hin in der Höhe abfällt, im Bereich zwischen dem alten Kirdorfer Bruch und der ehemaligen Kirdorfer Mühle am Finkelbach, gab es mindestens zwei, wenn nicht mehrere Quellaustritte. Einige Kirdorfer erinnern sich noch daran. Wallfahrer kamen von nah und fern, um das Wasser dieses „heiligen Brunnens“ zu trinken, dem heilende Kräfte nachgesagt wurden. Besonders bei Husten soll das Wasser Linderung und Heilung gebracht haben. Gläubige füllten Wasser ab und nahmen es mit.

Wann die Wallfahrten zu den Kirdorfer Quellen begannen, ist unbekannt, doch soll es schon im Mittelalter Wallfahrten gegeben haben. Irgendwann wurde die Wallfahrt zu den Quellen mit der Verehrung der Reliquien des heiligen Willibrord verbunden. Anfang November wurden die Reliquien des heiligen Willibrord in der Kirche ausgestellt und verehrt. Die Prozessionen zogen alljährlich von Ameln, Kirchherten, Rödingen, Niederembt - also aus nördlicher Richtung - über die „Hohe Straße“ nach Kirdorf. Die Bezeichnung „Hohe Straße“ stammt aus dem Mittelalter und bezeichnet einen heiligen Weg. Der Weg ist vermutlich identisch mit dem Römerweg, die von Glesch über Kirdorf nach Niederembt führte. Pilger kamen aus Bedburg, Harff, Büsdorf und anderen Orten, sogar aus Düren und Mönchengladbach.


Anzeige zum Oktav nach Kirdorf, 1896
Das Wallfahrtsfest war so bedeutend, dass sogar Anzeigen geschaltet wurden, wie hier im Erftboten von 1896 zu sehen ist. Auch 1906 berichtete der Erftbote über das Ereignis, was die Bedeutung des Wallfahrtsfestes verdeutlicht.

Oktav (von lateinisch octavus ‚der achte‘) bezeichnet in der katholischen Liturgie den achten Tag (Oktavtag) nach einem Hochfest im Kirchenjahr. Aber auch die acht Tage (Oktav) vom Fest bis zu seinem Oktavtag.
Quelle Wikipedia

„Mit dem verflossenen Sonntage nahm die diesjährige Oktav zu Ehren des hl. Willibrordus ihr Ende. Während am ersten Sonntage der Oktav herrliches trockenes Wetter die Festfeier begünstigte, drohte der Regen, der am Morgen des letzten Tages einsetzte, die Feier zu beeinträchtigen; allein, die günstige Witterung, die bald eintraf, führte nachmittags eine so große Menge Pilger nach Kirdorf, daß man bei der erhebenden prachtvollen Prozession mit der Reliquie des hl. Willibrordus fast nur Himmel und Menschen sah.

Betend kamen die einzelnen Gruppen von Pilgern nach Kirdorf, unter Gebet zogen sie auch wieder in ihre Heimat, nachdem sie in der Gnadenkapelle und in der schön geschmückten Pfarrkirche, wo die Reliquie des hl. Willibrordus zwischen Lichterglanz und Blumenschmuck ausgestellt war den hl. Willibrordus andächtig verehrt und alle ihre Anliegen dem mächtigen Fürsprecher am Throne Gottes empfohlen hatten. Ueberaus groß war in diesem Jahre der Empfang der hl. Sakramente an den beiden Sonntagen im Oktav.

Um der Festesfreude auch nach Außen hin Ausdruck zu geben, hatten die Bewohner in Kirdorf am 11. und 18. November geflaggt. Auch in diesem Jahre konnten die Pilger ungestört ihrer Andacht an der Gnadenkapelle obliegen, da die Behörde von Bedburg Alles, was das Gebet und die Andacht stören konnte und in früheren Jahren vielfach gestört hat, fern gehalten hatte, was allerseits dankbar anerkannt wurde. Möge die Verehrung des hl. Willibrordus auch in Zukunft sich immer mehr ausbreiten und dadurch eine Dankespflicht abgetragen werden, welche wir deutsche Katholiken gegen diesen großen Glaubensverbreiter haben.“

(Originaltext Erftbote 1906)


Damals war das Fest mit Jahrmarktsbuden auf beiden Seiten der Kirche verbunden. Da es in dieser Zeit keine Kirmes in Kirdorf gab, kann man sie auch als Ersatzkirmes bezeichnen. In der Blütezeit der Heiligenverehrung wurde 1908 die Lourdesgrotte durch den Gärtner Johann Sieben unter der Leitung des damaligen Kirdorfer Pfarrers Simon Lassaulx errichtet. Die Einweihung fand am 8. Dezember 1908 unter großer Anteilnahme der Bevölkerung statt.

Es war ein großartiges Ereignis mit einer abendlichen Lichterprozession, die diese Winternacht magisch verzauberte. Bengalische Flammen und Böllerschüsse eröffneten den Zug. In dem kleinen Dorf mit seinen 34 Häusern nahmen rund 800 Menschen an der Lichterprozession teil. Mehr als 3.000 Menschen verfolgten das Spektakel dicht gedrängt am Straßenrand.

Es gab einen Brunnen, der mit Wasser aus der Quelle gespeist wurde, aus der einst Willibrord getrunken hatte. Über dem Brunnen wurde später eine Wallfahrtskapelle errichtet. Später wurde neben dem alten Brunnen ein neuer gemauerter Brunnen mit einer Tiefe von sieben Metern errichtet. Bis 1940 wurde aus diesem Brunnen mit Hilfe einer Pumpe Wasser geschöpft.


Alte Wallfahrtskapelle, Aufnahme von 1935

Lourdes Grotte Kirdorf mit Pfarrer Simon Lassaulx, um 1908


Die Verehrung des heiligen Willibrord und die Wallfahrten dauerten bis 1940 an. Die anfänglich überregionalen Wallfahrten wurden nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr fortgesetzt. Die Grotte befindet sich noch heute im Ort, brennende Kerzen zeugen von der Akzeptanz der Gedenkstätte.

Seit 1896 steht an der Stelle des schlichten Vorgängerbaus eine neue, schönere Wallfahrtskapelle. An der Kapelle endete die einzige befahrbare Straße Kirdorfs. Eine neue Straße, die nun auch eine Verbindung nach Glesch und Niederembt ermöglichte, wurde notwendig, so dass im Zuge dieser Maßnahme die Kapelle 1966 abgerissen wurde.


Literatur



1100 Jahre Kirdorf im Jahr 1998
Lassaulx, Simon St. Willibrordus-Büchlein, 1907
Verein für Geschichte und Heimatkunde Bedburg e.V. Der Südosten Bedburgs, 1995
Dorfgemeinschaft Kirdorf 30 Jahre Dorfgemeinschaft Kirdorf, 1984
Dorfgemeinschaft Kirdorf 50 Jahre Dorfgemeinschaft Kirdorf, 2004
Schmitz, Heinz-Gerd Erinnerungen, 1000 Jahre Blerichen 997-1997
Dolfen, Heinz-Toni Kirdorf, Geschichte und Geschichten, 2018



Heinz-Toni Dolfen, 2019